Mercedes E-Klasse: Weltpremiere häppchenweise
Selten hat eine Weltpremiere in der Geschichte des Automobils länger gedauert. Bevor auf der North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit der Vorhang für die neue E-Klasse von Mercedes-Benz fiel, hatte es schon größere und kleinere Vorpremieren gegeben. Ab April ist das Auto zu haben.
In kleinen Häppchen hatte Daimler die Geheimnisse der neuen E-Klasse gelüftet, sie kurz vor der Autoshow in Detroit als "intelligenteste Business-Limousine" gepriesen. Tatsächlich setzt sie bei Vernetzung und Digitalisierung neue Maßstäbe und ist ein weiterer Schritt in Richtung autonomes Fahren. Ab April dürfen sich die Freunde der E-Klasse darauf freuen.
Nichts ist bekanntlich so alt wie die Zeitung von gestern. Abgewandelt ist die alte Weisheit auch für die Entwicklung in der Automobilindustrie gültig. Hier muss sie heißen: Nichts ist so alt wie die Technik von heute. Rasend schnell geht es in Richtung autonomes Fahren, Vorsprünge durch Technik haben sehr geringe Halbwertzeiten. Noch bei der IAA in Frankfurt im letzten September hatte der BMW-Siebener die Nase vorne, jetzt ist es die E-Klasse von Mercedes.
Schon während der Messetage am Main erlebte man einen sehr entspannten Olä Kallenius. "Wir werden in Sachen autonomes Fahren noch etwas draufpacken", klärte der Daimler-Vertriebsvorstand das Verhältnis zum Konkurrenten aus München. Dass ihm bei dieser Aussage ein gewaltiger Stein vom Herzen gefallen sein dürfte, ist verständlich - seit jeher ist die E-Klasse eine tragende Säule des Stuttgarter Unternehmens. Und die Vorstellung der Münchner Spitzenlimousine war die Bestätigung, vorläufig die Nummer 1 im Wettrüsten um die automobile Zukunft zu sein. Die große Kunst bestand nunmehr darin, diese Message für die Öffentlichkeit möglichst lange am Köcheln zu halten.
Weltpremiere erster Teil in Sindelfingen
Es folgten ausgeklügelte Marketingaktionen. Und damit sind keineswegs die Spekulationen in der einschlägigen Motorpresse gemeint, die mit Computeranimationen die neue E-Klasse zu enttarnen versuchten. Auch nicht die dezenten Hinweise von Führungspersönlichkeiten, etwa die von Chefdesigner Gordon Wagener auf der Tokio Motorshow Ende Oktober, der von einem "sensationellen Innenraumkonzept" sprach und damit andeutete, was die schwäbischen Dramaturgen mit "Insight" Anfang Dezember zeigten. Bei dieser Weltpremiere der Einsichten wurde in einem Studio nahe des Werks Sindelfingen das neue Cockpit der E-Klasse vorgestellt: hochauflösende Displays, frei programmierbaren Visualisierungen und Animationen, Touch Control am Multifunktionslenkrad, Smartphone-Integration, Wireless Charging. Dass vor der Tür von den Journalisten einige getarnte E-Klassen gesichtet wurden, die deutliche Hinweise auf die Optik gaben, war sicherlich ein ungewollter Zufall.
Jedenfalls kam der Januar und mit ihm die Gelegenheit, bei der Consumer Elektronic Show (CES) in Las Vegas der Öffentlichkeit wieder ein Info-Häppchen zu verabreichen. Als "intelligenteste Business-Limousine" pries Forschungs- und Entwicklungschef Dr. Thomas Weber die Vernetzung zwischen Auto und individueller Lebenswelt des Fahrers. Passend dazu verkündete Weber eine Koop mit dem US-Bundesstaat Las Vegas, wonach drei serienmäßige E-Klassemodelle im Rahmen einer Testlizenz autonom auf allen Interstates und State Highways unterwegs sein dürfen. Steuern müssen die Fahrer nur noch bei Auf- und Abfahrten.
Bis 210 km/h dem Vordermann nach
Die Fahrassistenten der jüngsten Generation sind in der neuen E-Klasse schon eingebaut:
Drive Pilot: Hält als Abstands-Pilot Distronic auf Autobahnen und Landstraßen nicht nur automatisch den richtigen Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen, sondern folgt ihnen bis 210 km/h. Bis 130 km/h kommt der Assistent auch bei nicht eindeutigen Linien wie in Baustellen, oder ganz ohne Linien zurecht. Außerdem: In Verbindung mit Comand Online reagiert der Tempolimit-Pilot über Kamera erkannte Geschwindigkeitsbeschränkungen oder allgemein bekannte Limits, wie 50 km/h innerorts oder 100 km/h auf Landstraßen. Der radar- und kamerabasierte aktive Spurwechsel-Assistent wiederum lenkt das Auto, z. B. beim Überholen, automatisch auf die gewünschte Spur.
Brems-Assistent mit Kreuzungsfunktion: Erkennt Kreuzungssituationen und bremst selbstständig, wenn es der Fahrer nicht macht. Das gilt auch an Stau-Enden ohne Ausweichmöglichkeit zu 100 km/h.
Ausweich-Lenk-Assistent: Unterstützt den Fahrer bei Ausweichmanövern, durch genau berechnete zusätzliche Lenkmomente. Das Hindernis wird kontrolliert umfahren, das Auto danach wieder gerade gestellt.
Remote Park-Pilot: Nach BMV jetzt auch bei Mercedes. Ein- und ausparken mit der Smartphone-App in Garagen und Parklücken.
Ein paar Tage später die Weltpremiere in Detroit und die Antwort auf die letzte offene Frage - der Motorisierung: Zum Marktstart in ein paar Wochen kommen der E 200 als Vierzylinder-Benziner und der E 220 d mit einem neu entwickelten Vierzylinder-Diesel. Folgen werden unter anderem ein Plug-in Hybrid der 350 e, Systemleistung 279 PS und rein elektrische Reichweite 30 Kilometer. Dazu der stärkste Diesel, ein Sechszylinder mit 258 PS sowie der allradgetriebenen E400 4matic, ein Sechszylinder-Benziner mit 333 Pferdestärken.
Weil wir uns im Jahr 130 nach der Erfindung des Automobils durch Carl Benz befinden, der bekanntlich die Pferdekutsche als Fortbewegungsmittel entbehrlich machte, gehört das Schlusswort zum Thema Zukunft Daimler-Konzernchef Dr. Dieter Zetsche: "Der Mercedes der Zukunft wird nicht nur emissionsfrei, sondern auch autonom fahren. Er wird noch sicherer, noch luxuriöser und dabei voll vernetzt sein."