Reportage von der All-in-Caravaning 2018
Camping boomt in China, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Report aus dem Reich der Mitte.
Campingurlaub gewinnt auch in China immer mehr Freunde. Dominic Vierneisel, Chefredakteur der Wohnmobil-Zeitschrift promobil, konnte bei seiner Reise zur All-In-Caravaning-Messe einige Impressionen sammeln.
Reportage: China geht campen
In der chinesischen Campingindustrie herrscht Aufbruchstimmung. Rund um die Messe im Juni begebe ich mich auf Recherchereise. Wie campt China eigentlich so?
Es ist heiß und schwül, als unsere kleine Delegation am riesigen Flughafen der Hauptstadt Peking zum ersten Mal ins Freie tritt. Doch wir haben Glück, versichert man uns. Die Stadt verschwindet heute ausnahmsweise nicht unter einer Smogglocke; die Sonne wirft echte Schatten auf den gepflegten Asphalt. Die Fahrt durch die mittägliche Rushhour zum rund 30 Kilometer entfernten Hotel dauert etwa anderthalb Stunden, ohne dass sich das Stadtbild wesentlich verändern würde. Stadtautobahnen und Wolkenkratzer bis zum Horizont – beeindruckend.
Im Dunstkreis der Millionenmetropole Peking erlebe ich China als ein sich höchst rasant entwickelndes Land; viele Standards erweisen sich als den westlichen mindestens ebenbürtig. In ländlichen Gebieten mag es anders aussehen, und wohl auch deshalb spielt sich die Urbanisierung hier in einem erheblich dynamischeren Ausmaß ab als etwa in Westeuropa. Allein in den Ballungsräumen der 15 Megacitys im Land leben insgesamt etwa 260 Millionen Menschen.
Und deren Lebensstandard steigt. Im Zuge des starken Wirtschaftswachstums im bevölkerungsreichsten Land der Erde bildet sich in den Städten eine größer werdende, konsumfreudige Mittelschicht, die Geld hat – unter anderem für Luxusgüter wie Autos. Mit fatalen Folgen für den Verkehr und die Luftqualität.
Raus aus der Mega-City, rein in die Natur
Also nichts wie raus aus der überfüllten Stadt. Um eine Ahnung von der reichen Geschichte des Landes zu bekommen, besuchen wir die Große Mauer. Unsere Führerin Yan von Happy Beijing Tours kennt einen Abschnitt, der nicht von Touristenmassen überrannt wird: Mutianyu, etwa 70 Kilometer nordöstlich von Peking.
Bis zu acht Meter hoch und fünf Meter breit ist die Mauer hier. Seit dem 6. Jahrhundert diente dieses Teilstück als Grenzkontrollsystem und Schutzwall gegen fremde Völker. Ständige Renovierung hat den Mauerabschnitt bis heute ausgezeichnet erhalten. Das Auf und Ab ist schweißtreibend, die Organisation bis hin zu den Souvenirständen mit Mao-T-Shirts perfekt. Der Verkehrslärm ist weit weg. Nur die Zikaden zirpen lauthals in den Bäumen, als hätten allesamt ausgeleierte Keilriemen.
Wer genug hat vom Smog der Stadt, flüchtet immer öfter aufs Land. Zumindest an den Stadtrand, wo in den letzten Jahren mehr und mehr Campingplätze entstehen. Im Umland von Peking befindet sich der Longwan Campingpark, der größte Platz in China, wie man bekräftigt. Die erste 5-Sterne-Anlage des Landes liegt idyllisch an mehreren Seen, in denen Gäste auch angeln dürfen. Es gibt ein Riesenrad, mehrere Spielplätze und zahlreiche Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen.
Neben einigen fest installierten Caravans von Hobby und Fendt besichtigen wir Glampingzelte, zahllose, teils originell eingerichtete Appartments unterschiedlichster Preisklassen bis zum 200-qm-Meter-Blockhaus mit fünf Schlafzimmern für umgerechnet 1040 Euro die Nacht, das mit anderen mitten in einem ansonsten unberührten Waldstück liegt; für Reisemobile sind nur wenige Parzellen abgesteckt; lediglich etwa zehn besuchen den Platz in einem Monat, sagt der Betreiber.
„2017 haben wir insgesamt 140.000 Übernachtungen verbucht“, erzählt He Jianjun, Geschäftsführer des Platzes, der 180 Mitarbeiter beschäftigt. „Von Mai bis Oktober sind wir jedes Wochenendeausgebucht.“ An diesem Donnerstag jedoch ist der Platz leer. Ich blicke fragend in Gesichter, für die die Antwort so naheliegend scheint, dass schon die Frage verblüfft. Bei zehn bis elf Tagen Urlaub im Jahr sind Chinesen vorwiegend Weekend-Camper. Oft kommt die ganze Familie mit; oder man feiert mit Freunden vor Ort ein langes Wochenende – daher die vielen Betten in den Appartments.
2014 ging Longwan in Betrieb, nach einer atemberaubend kurzen Bauzeit von 103 Tagen. Im Ganzen unterhält das Unternehmen aktuell 16 Campingplätze, alle mit gehobenem Standard. WiFi gibt es grundsätzlich flächendeckend. Google oder Facebook indes sind in ganz China gesperrt.
Sunshine Valley, der zweite Campingplatz, den wir besichtigen, hat gerade erst im Mai eröffnet. Auch hier liegt der Fokus auf Ferienhäusern für Familien, oft mit eigener kleiner Terrasse und Außenküche, teils mit Seeblick, fest installierten Zelten und einigen Mobilheimen. Schön angelegt sind auch die paar Reisemobilstellplätze.
Camping wird vom Staat gefördert
Vom großen Marktpotenzial berichtet Gründer Sun Jiandong. Die Menschen sehnten sich nach Natur, und Camping sei eine Möglichkeit, sie zu genießen. Gezielt fördert die Regierung die Urlaubsform, um das Umweltbewusstsein zu stärken und die Menschen dazu zu bewegen, Ferien im eigenen Land zu machen.
Wer einen Campingplatz gründen möchte, erhält staatliche Subventionen und hat es leichter, Land zu erwerben. Die Weisung von oben zeigt Wirkung: Gab es 2015 in ganz China rund 240 Plätze, existieren aktuell etwa 1500. 2020 sollen es mehrere tausend sein. Sunpapa selbst will in den nächsten Jahren bis zu 100 neue Campsites eröffnen. Die Wachstumschancen seien riesig, sagt der junge Unternehmer, der Reisemobilmarkt stehe allerdings noch ganz am Anfang. Für Städter, die mangels Zeit und Parkraum beim Kauf noch zögerlich seien, hat die Unternehmensgruppe eine eigene Vermietung aufgebaut. Die Fahrzeuge stammen aus heimischer Fertigung.
Auffallend ist, dass auch große chinesische Automarken sich vom aufstrebenden RV-Markt Gewinne versprechen. Darunter ist Great Wall mit seiner Reisemobilmarke Livezone. Vertriebsleiter Liu Yujiao strebt für 2018 rund 600 Mobile an. Ähnlich hoch sind die Ambitionen von Yate, einem bekannten Hersteller von Baufahrzeugen und Ambulanzen. Zusammen mit Vertriebsleiter Lu Yang sitzen wir in einem Alkovenmobil mit erstaunlich vielen Schlafplätzen. Ob er auch ein Reisemobil besitze, möchten wir wissen. Nein, dazu fehle die Zeit, meint er. Er müsse arbeiten. China ist auf dem Weg.