Der Zauber von Imola
Imola zählt zu den traditionsreichsten Strecken im Formel-1-Kalender. Für auto motor und sport F1-Reporter Michael Schmidt war es ein Wiedersehen nach 15 Jahren. Ein guter Moment auf die alte Zeit zurückzublicken und festzustellen, was sich verändert hat.
Manchmal gibt es in der Formel 1 ein Wiedersehen. Bei Imola hatte ich schon nicht mehr dran geglaubt. Eigentlich wollte ich schon letztes Jahr zum Comeback, doch zehn Tage vor dem Grand Prix erklärte unsere Regierung die Emilia Romagna als Risikogebiet. Damals noch mit zehn Tagen Quarantänepflicht bei Rückkehr nach Deutschland. Deshalb musste ich die Reise kurzfristig absagen.
Ein zweites Mal aber wollte ich Imola nicht auslassen. Diesmal war eher die Anreise das Problem. Die Emilia Romagna ist wieder rote Zone. Nicht einmal Einheimische dürfen die Provinz wechseln, außer die Arbeit zwingt sie dazu. Wer aus dem Ausland kommt, hat es doppelt schwer. Eigentlich müsste man vorab 14 Tage abgeschottet in einem Hotelzimmer in Isolation verbringen. Hier aber greift eine Ausnahmeregelung für Internationale Sportveranstaltungen.
Trotzdem wurde die Reise nach Italien zu einem Trip zum Mond. Die italienischen Behörden haben einige bürokratische Hürden aufgebaut, um Reisende abzuschrecken. Ich bin noch nie zu einem Grand Prix mit so vielen Formularen gefahren wie zu diesem. Dann, an der Grenze die Enttäuschung. Keiner wollte die Einladungen, Freistellungen und Arbeitsnachweise sehen. Man muss den Papierkram trotzdem ständig mit sich führen. Für den Fall einer Kontrolle.
Die großen Rennen von Imola
Für mich war es ein Wiedersehen nach 15 Jahren. Imola gehörte zu meinem Standardprogramm seit 1980, als das Rennen zum einzigen Mal als Grand Prix von Italien veranstaltet wurde. Monza musste damals pausieren, weil sie nicht fristgerecht von der FIA geforderte Sicherheitsmaßnahmen an der Strecke erledigt hatten.
Ich hatte in der alten Zeit nur ein Rennen auf dem Autodromo Dine e Enzo Ferrari verpasst. Das war die Regenschlacht 1981, zugleich erster Grand Prix von San Marino. Warum ich damals fehlte, weiß ich selbst nicht mehr.
Insgesamt habe ich es auf 26 Grands Prix auf Italiens zweitbekanntester Rennstrecke gebracht. Und unzählige Testfahrten, die vor den europäischen Saisonstart dort abgehalten wurden. Ich war dabei, als 1982 nur 14 Autos am Start standen und im Finale der Krieg der Ferrari-Piloten Gilles Villeneuve und Didier Pironi entbrannte. Oder als Alain Prost 1985 seinen Sieg verlor, weil sein McLaren zwei Kilogramm zu leicht war. Oder 1987, als Nelson Piquet im Training nach einem Reifenschaden als erster Fahrer die Mauer der Tamburello-Kurve spürte. Der Brasilianer erhielt Startverbot.
Ich habe 1989 auch den dramatischen Unfall von Gerhard Berger in der Tamburello-Kurve erlebt, den Sensationssieg von Riccardo Patrese ein Jahr später und natürlich das tragische Wochenende 1994, das mit dem Unfall von Rubens Barichello schon unheilvoll begann und die beiden folgenden Tagen mit dem Tod von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna in einer Katastrophe endete.
Imola wurde die Seele geraubt
Danach war Imola nicht mehr dieselbe Strecke. Die Schikanen in Tamburello und vor der Tosa-Haarnadel zerhackten den Fahrrhythmus, raubten der wunderbaren Berg- und Talbahn ihre Seele und machten aus den Rennen meistens eine Prozession. Daraus entstanden aber auch die beiden besten Rennen der ersten Ära. 2005 und 2006 lieferten sich Fernando Alonso und Michael Schumacher zwei denkwürdige Verteidigungsschlachten.
Einmal gewann Alonso, einmal Schumacher. Es waren Duelle auf höchstem Niveau. Der Verfolger saß jeweils im schnelleren Auto. Es brauchte schon höchste Rennfahrerkunst vorne zu bleiben, ohne unfair zu sein. 2005 machte Alonso seinen Renault 14 Runden lang doppelt so breit wie er war. Ein Jahr später musste Schumacher 19 Runden lang in die Trickkiste greifen, um den Angreifer abzuwehren.
Mit dem Duell des alten Mannes gegen seinen Nachfolger ging die Geschichte von Imola vorerst zu Ende. Wir haben diesem Rennen mit seiner wunderbaren Atmosphäre oft nachgetrauert. Diese anspruchsvolle Rennstrecke, halb in der Stadt, halb im Grünen.
Es war ein einzigartiger Anblick, wenn der Hügel innerhalb der Rivazza-Kurven vollgepackt mit Menschen war. Oder wenn das Publikum auf der Außenseite jedes Ferrari-Überholmanöver bejubelte, als hätte die italienische Fußball-Nationalmannschaft gerade ein Tor geschossen.
Wir haben die langen Abende in den Restaurants rund um die Strecke vermisst oder die Fahrt vom Hotel zum Autodrom über die Weinberge der Emilia Romagna. Das war ein kleines Rennen für sich auf einer Streckenführung wie auf der Nordschleife des Nürburgrings.
Wie löst man das Überholproblem?
15 Jahre später hat mich also der Kalender wieder nach Imola zurückgebracht. Es war als wäre die Zeit stehen geblieben. Rundherum hat sich nicht viel geändert, außer dass jetzt wegen Corona praktisch alles geschlossen ist. Und unser persönlicher kleiner Grand Prix zwischen Imola und Riolo Terme, wo unser Hotel liegt, wegen einer Straßensperre ausfällt.
Das zurückgefahrene öffentliche Leben und die leeren Tribünen drücken natürlich auf die Stimmung. Ein paar findige Autogrammjäger haben es trotzdem in die Nähe der Strecke geschafft. Das Autodrom liegt am Ortsrand von Imola in einem öffentlichen Park. Einheimische kennen natürlich jeden Schleichweg und halboffiziellen Zugang. Eine Gruppe von ungefähr 50 Leuten postierte sich auf der Innenseite der Strecke schräg gegenüber der Boxenausfahrt und passte die Piloten und ihre Crews beim Streckenrundgang ab.
Kollege Tobias Grüner und ich sind nur den neuen Teil der Strecke abgelaufen, den es 2006 noch nicht gab. Von der Boxeneinfahrt bis Tamburello. Die Strecke verläuft dort in leichten Bögen 1,2 Kilometer lang fast geradeaus. Man müsste eigentlich meinen, dass sich da jetzt eine gute Überholmöglichkeit bietet, und doch war der Grand Prix im letzten Jahr mit nur zehn Positionswechseln auf der Strecke das Monte Carlo der 2020er Saison.
Das liegt zum Großteil an der Streckenbreite. Ist sie an den Boxen noch 12,5 Meter breit, schrumpft sie Richtung Bremspunkt in Tamburello auf 10,5 Meter. Und die Gerade macht noch einen leichten Knick nach links. Wer dort konsequent in der Mitte der Strecke fährt, ist ein unüberholbares Hindernis. Jetzt sollen 100 Meter extra DRS-Zone ein bisschen nachhelfen.
Natürlich waren wir in der Tamburello-Schikane auch an Sennas Unfallort. Das Fahnenmeer im Innenraum rund um das Denkmal ist immer noch beeindruckend, doch in letzter Zeit ist nicht mehr viel dazugekommen. Die Zeit hat den Landesflaggen die Farben geraubt. 27 Jahre sind halt doch eine lange Zeit.