Ford-Mitarbeiter klagt in Doku: "Die einen reden über die Rente, andere wissen nicht, wie es weitergeht"
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es besser wird durch eine neue Regierung", sagt Lukas Weichelt. Er blickt wie die meisten Protagonisten der ARD-Dokumentation "Was wird aus unseren Jobs? Wirtschaft in der Krise" eher pessimistisch in die Zukunft. "Man hört ja nur noch Stellenabbau, Stellenabbau, Stellenabbau und 'wir verlagern ins Ausland'", erzählt der Mechatroniker, "irgendwann denkt man auch: Wann ist man selbst betroffen?"
Eigentlich wünsche er sich eines Tages eine eigene Familie, ein Eigenheim ist "ein großer Traum" des 27-Jährigen. Allein: "Ich wüsste nicht, wie man das verwirklichen will." Zu gering seien die Löhne, zu hoch die Zinsen, zu "schwierig" die aktuelle Situation, erklärt Weichelt. "So wie es aktuell ist, geht es nicht weiter", klagt er. "Die Leute brauchen Sicherheit, dass die Arbeitsplätze gehalten werden, dass sie ihre Rechnungen bezahlen können. Dass der Otto Normalverbraucher sich auch ein anständiges Leben leisten, in den Urlaub fahren und ein Haus kaufen kann. Das ist mit einem normalen Verdienst fast undenkbar heutzutage."
Dass bei der Firma Kämper, bei der Lukas Weichelt seit einigen Jahren arbeitet, "weniger Maschinen laufen", sei dem Angestellten bereits aufgefallen. Auch die Geschäftsführer des Traditionsbetriebs berichten von herausfordernden Zeiten: "Wir kennen aktuell nur Krise", bestätigt Sven Müchler. Tagesgeschäft sei im sauerländischen Familienunternehmen derzeit "Krisengeschäft". Man hoffe auf einen Politikwechsel, erklärt Gesellschafter Thomas Müchler: "Es sind ja unheimlich viele Erwartungen da, jetzt nach der Katastrophe mit der Ampel."
Konjunkturforscher: Deutsche Wirtschaft hatte "eine schöne Zeit"
Seit 1888 stellt Kämper Verbindungsteile her, unter anderem für Autos, Heizungen und Spielzeug. Lange Zeit blieb der Kundenstamm stabil, mittlerweile seien viele verlässliche Einnahmequellen weggebrochen. "Wir hören immer nur eine einzige Antwort, warum das so ist", berichtet Geschäftsführer Yanik Müchler. "Das liegt an der Wirtschaft in Deutschland."
Einst, bestätigt Konjunkturforscher Michael Grömling im Film, hatte die deutsche Wirtschaft "in der Tat eine schöne Zeit". Doch auf eine Dekade des Aufschwungs folgte die Corona-Krise - und mit ihr zahlreiche weitere Herausforderungen. "Seit der Pandemie sehen wir globale Produktionsprobleme. Und der Krieg in der Ukraine hat das Energieproblem, das globale Versorgungsproblem und auch den Zugang zu wichtigen internationalen neuen Märkten erheblich problematisiert, was für eine weltoffene Volkswirtschaft wie Deutschland ein richtiges ökonomisches Problem darstellt", erklärt Grömling.
Enttäuschung nach Ford-Beben: "Meine Kinder werden da garantiert nicht einen Fuß reinsetzen"
Zahlreiche Menschen hat die angespannte wirtschaftliche Lage bereits den Job gekostet. Auch Sylvia und Thomas Grunert werden ihre Arbeitsplätze verlieren. Das Ehepaar arbeitet seit Jahrzehnten in den Kölner Ford-Werken; kurz vor Weihnachten erreichte beide die Hiobsbotschaft, dass ihre Stellen bis 2027 gestrichen werden. "Wenn man gesagt bekommt: 'Deinen Job braucht man nicht mehr, man braucht dich nicht mehr', ist das schon irgendwie doof für denjenigen, der da zwei Jahre sitzt und sich denkt: 'Okay, ich bin überflüssig'", erzählt Sylvia Grunert, die bereits seit 30 Jahren beim Autohersteller arbeitet.
Insgesamt 2.900 Stellen will Ford in den kommenden zwei Jahren abbauen. "Jeder hat da eine andere Perspektive", berichtet Thomas Grunert aus seinem Kollegenkreis. "Die einen reden die ganze Zeit über die Rente. Die anderen wissen nicht, wie es weitergeht, weil sie vielleicht keinen neuen Arbeitgeber finden."
Grunert selbst macht aktuell eine Umschulung zum Energieberater. "Ich habe mich entschlossen, die Branche zu wechseln, wir haben ja auch zwei junge Kinder", erklärt der Familienvater. Eine Zukunft in der Automobil-Industrie sehe er für sich nicht mehr - die Branche sei aktuell zu unsicher. "Früher habe ich allen gesagt: 'Bring dein Kind zu Ford, versuch es irgendwie, das ist ein sicherer Arbeitsplatz.' Aber nein, meine Kinder werden da garantiert nicht einen Fuß reinsetzen", stellt auch Grunerts Ehefrau klar.
Arbeitsforscherin prognostiziert weitere Verluste in der Industrie
Von der Politik fühlen sich die Ford-Mitarbeiter alleingelassen. "Wir haben absolut keine Zeit, auf den 23. Februar zu warten", sagt der Betriebsratsvorsitzende Benjamin Gruschka mit Blick auf den Termin der Bundestagswahl. Allein die Verhandlungen über eine gesamteuropäische Verkaufsförderung dürften sich jedoch über Jahre hinziehen.
"Wir werden diese Arbeitsplätze nicht halten können" sei "natürlich im Wahlkampf auch keine attraktive Aussage", weiß Wirtschaftssoziologin Anke Hassel. "Man kann das Geld auch nur einmal ausgeben. Man kann es entweder für Steuersenkungen ausgeben oder für Investitionen ausgeben, man kann es für Sozialleistungen ausgeben. Oder man kann sich verschulden", erklärt die Arbeitsforscherin von der Hertie School of Governance. Vor allem die CDU habe "sehr hohe Steuerentlastungen versprochen", sagt sie, "die werden nicht in der Größe tatsächlich umgesetzt werden". Der Schwerpunkt werde Hassel zufolge "auf Investitionen liegen müssen, weil wir die Erosion der Infrastruktur in Deutschland nicht weiter so akzeptieren werden können".
Hassels Prognose klingt düster: "Ich gehe davon aus, dass die Industriebeschäftigung in den nächsten zehn Jahren noch deutlich zurückgehen wird." Unklar sei, ob dies auch zu Wohlstandsverlusten für die Gesamtbevölkerung führen werde. Schließlich, gibt sich die Wissenschaftlerin dann doch noch vorsichtig optimistisch, "haben wir ja auch noch eine Bundesregierung". Sollte es dieser gelingen, "private und öffentliche Investitionen gemeinsam zu mobilisieren, dann würde natürlich auch ein Wachstumspfad beschritten werden können".