"Kunst kann in ausweglosen Situationen die Rettung sein": Darauf setzt Michael Patrick Kelly in schweren Zeiten

In den 90er-Jahren hing Michael Patrick "Paddy" Kelly (47) noch mit der "Kelly Family" als Poster in unzähligen Mädchenzimmern. Mit 15 Jahren schrieb der Multiinstrumentalist seinen ersten Welthit. Seit nunmehr 20 Jahren spielt er sich erfolgreich als Solokünstler in die Herzen seiner Fans, und er lebte zwischenzeitlich sechs Jahre zölibatär im Kloster. Heute engagiert er sich vor allem für Hilfsprojekte in aller Welt. Als Friedensaktivist trägt der irisch-US-amerikanische Sänger in seinen Songs eine klare Botschaft auch auf die großen Bühnen. Nach fünf Jahren Pause kehrt er nun als Gast in die Erfolgsshow "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" zurück. Und präsentiert dort erstmals seine neue Single "The One". Über das Kernthema des Songs, die Sehnsucht der Menschen nach Beständigkeit, spricht er auch im Interview zum Start der zwölften Staffel (am Dienstag, 22. April, um 20.15 Uhr, auf VOX). Gemeinsam mit Künstlern wie FiNCH und Bosse interpretiert er Songs seiner Kolleginnen und Kollegen in Afrika. Wie sich sein Aktivisten-Dasein mit den vielen Reisen als Weltstar vereinbaren lässt, worauf er in seinem Leben besonders stolz ist und wie er angesichts der turbulenten weltpolitischen Lage versucht, seine Fans für seine Herzensangelegenheiten zu begeistern, verrät er im Interview.
teleschau: Kinderstar, Friedensaktivist, Mönch und Popgigant. - Es scheint, Sie vereinen viele Persönlichkeiten in sich. An den Aktivisten in Ihnen: Hätte man die Sendung nicht woanders drehen können als in Afrika, ohne so viele Flugmeilen zurücklegen zu müssen?
Michael Patrick Kelly: Der Drehort Südafrika wird nicht willkürlich gewählt, sondern die Produzenten des Formats haben natürlich diverse Gründe dafür. Auch da ist der Naturschutz ein Anliegen: Die RTL Sendergruppe hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 Klimaneutral zu produzieren. Der Drehort von "Sing meinen Song" ist ein Naturreservat, in dem Tierschutz und Biodiversität groß geschrieben werden, das Essen stammt aus der Region, der Strom wird nachhaltig durch Solarpanels generiert. Genau genommen profitiert das Projekt auch von der TV Sendung. Was die Flugmeilen betrifft, lasse ich persönlich für jeden Flug, den ich nehmen muss, einen Baum pflanzen.
teleschau: Ein Naturreservat, in dem Dreharbeiten stattfinden - widerspricht sich das nicht?
Kelly: Nicht in diesem Fall. Das haben zwei Deutsche gegründet, die auch eine Stiftung ins Leben gerufen haben, um die Menschen vor Ort in den Townships zu unterstützen und in tolle Hilfsprojekte einzubinden. Ich habe die Kinder dort auch besucht, um mir ein Bild zu machen, wo noch Hilfe benötigt wird. Wer jetzt denkt, dass wir Künstler dort zwei Wochen lang in Saus und Braus leben, die Umwelt verschmutzen und auf die Kacke hauen, der irrt. Die Atmosphäre erinnert eher an eine Gartenparty mit dem Potenzial, helfende Hände zu gewinnen, als an eine Show.
"Musik verbindet wie nur wenige andere Dinge auf der Welt"
teleschau: Eine Gartenparty, die jede Staffel für stabile Quoten sorgt. Warum?
Kelly: Weil nichts gescripted ist. Alle zwölf Kameras sind gut hinter Büschen versteckt. Wir Künstler fühlen uns daher frei. Das ist eine Reality-Show im besten Sinne des Wortes. Niemand wird schlecht gemacht. Der Umgang miteinander ist zu jeder Zeit respektvoll - auch, wenn einem die ein oder andere Interpretation vielleicht auch mal nicht so gefällt. Tatsächlich berührt einen fast immer die Ehrlichkeit, mit der sich die Künstler mit den teils völlig stilfremden Songs befassen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell aus Fremden Freunde werden. Schließlich sind viele Songs sehr privat. Und die Musiker kehren ihr Innerstes nach außen.
teleschau: Auch nicht mehr, als würden Sie auf einer Bühne vor ihren Fans stehen, oder?
Kelly: Doch. Der Rahmen ist sehr intim und anders als in einem Studio oder auf einer großen Bühne. Manche Songs handeln von Verlust. Wenn dir jemand ein Lied singt, in dem du den Tod eines Freundes verarbeitest, oder das du für jemanden geschrieben hast, der bereits gegangen ist, dann geht dir das sehr nahe. Musik verbindet wie nur wenige andere Dinge auf der Welt.
teleschau: Viele sehr erfolgreiche Musikerinnen und Musiker treffen aufeinander. Geht das, ohne auch nur den Hauch eines Konkurrenzgedankens?
Kelly: Natürlich hat jeder Künstler und jede Künstlerin ein gewisses Ego. Sonst würden wir alle nicht auf den Bühnen dieser Welt stehen. Das gehört zur Berufsbeschreibung. Aber es gibt unseren Moderator, Johannes Oerding, der hat uns alle gut im Griff (schmunzelt). Es geht uns darum, der Welt der Gefühle zu begegnen, nicht unserer Welt, die derzeit von so vielen schlechten Nachrichten, Spaltungen und Polarisierungen überschwemmt wird. Wir erleben dort eine harmonische und heile Welt, die nicht weniger realistisch ist als unsere plurale Gesellschaft im Strudel der Herausforderungen unserer Zeit. Wir zeigen im Kleinen, dass Musik ein friedliches Miteinander ermöglicht.
"An das Gute im Menschen und an positive Wendungen glauben"
teleschau: Ein Anliegen, das Ihnen als Friedensaktivist besonders am Herzen liegt. 2003 protestierten Sie selbst unter anderem vor dem Capitol Hill in Washington. Würden Sie das heute auch tun?
Kelly: Gute Frage. Damals war ich Mitte 20. In dem Alter war ich überzeugt, allein mit meiner Teilnahme an Protesten wirklich die Welt verändern zu können. Heute, mit ein paar mehr Jahren auf dem Buckel, protestiere ich nicht nur gegen Ungerechtigkeiten, sondern versuche, konkret etwas zu verändern. Ich unterstütze und initiiere konkrete Friedensprojekte.
teleschau: Die da wären?
Kelly: In Israel unterstütze ich eine Schule in einem Friedensdorf, in dem Hunderte von Israelis und Palästinensern friedlich zusammenleben. In Äthiopien haben wir Grundnahrungsmittelketten und Wasserquellen aufgebaut. Außerdem arbeite ich mit der NGO "Art Helps" für Projekte in der Ukraine zusammen. Neben der Versorgung mit Medikamenten und anderen Hilfsgütern können Kinder und Jugendliche dort auch an kreativen Workshops teilnehmen. So haben sie die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten. Malen, Zeichnen, Musizieren und Theaterspielen können ein sehr gutes Ventil sein, um mit Traumata umzugehen. Natürlich braucht jedes Kind ausreichend Nahrung, Liebe und Bildung - aber auch Kreativität ist wichtig. Kunst kann in ausweglosen Situationen die Rettung sein. Langfristig funktioniert aber immer nur die Hilfe zur Selbsthilfe, um Abhängigkeiten zu vermeiden.
teleschau: 2024 wurden Sie dafür vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum UN SDG-Botschafter für das Ziel "Frieden und Gerechtigkeit" ernannt. Wie nah sind Sie dem Ziel schon?
Kelly: Das von den Vereinten Nationen definierte Ziel Nr. 16 aus insgesamt 17 Sustainable Development Goals (SDG's) mag im Anblick einer von Krieg und Krisen getroffenen Welt ambitioniert klingen. Aber ohne den Einsatz von zahlreichen Menschen, die an den Frontlines Friedensarbeit leisten, sähe das alles noch düsterer aus. Da ich grundsätzlich ein hoffnungsvoller Mensch bin, blicke ich optimistisch in die Zukunft. Wir Menschen überlebten in den letzten hundert Jahren apokalyptische Schreckensszenarien wie die Weltkriege. Deshalb muss jeder Einzelne weiter an das Gute im Menschen und an positive Wendungen glauben, um nicht an der Zukunftsangst zu zerbrechen.
"Ich bin kein Politiker, mein Fachgebiet ist die Musik"
teleschau: Das klingt gar nicht so optimistisch ... Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?
Kelly: Unter anderem aus den sichtbaren Ergebnissen meiner Friedensarbeit. Eines habe ich aus der Zusammenarbeit mit den vielen NGOs und Hilfsprojekten gelernt: dass man manche Ziele nur erreicht durch Kommunikation und Kooperation mit den politischen Strukturen. Ich habe die Nominierung angenommen, um in der Friedensarbeit für die Menschen noch mehr voranbringen zu können. Dazu muss ich nicht meine politische Meinung kundtun, sondern handeln. Ich bin kein Politiker, mein Fachgebiet ist die Musik. Es bringt uns allen mehr, wenn ich meine Energie in konkrete Projekte stecke, als noch eine Meinung über das politische Geschehen in den Ring zu werfen.
teleschau: Was hilft Ihnen, die Probleme unserer Zeit aus dieser Warte zu betrachten?
Kelly: Vor allem mein Glaube. Albert Einstein hat einmal gesagt: "Es gibt nur zwei Arten, sein Leben zu leben. Die eine ist, als ob nichts ein Wunder wäre, die andere, als ob alles ein Wunder wäre." - Ich lebe nach der zweiten Möglichkeit. Mein Glaube an Gott ist dabei die Quelle meines inneren Friedens.
teleschau: Wie auch Ihre oft sehr persönlichen Songtexte zeigen.
Kelly: Ja. Wie emotional ich oft in meinen Songs werde, merkte ich vor allem bei Johannes Oerdings Interpretation meines Songs "Mother's Day" auf Deutsch. Das berührte mich enorm. Die Geschichte beruht auf meinem Leben: Als ich fünf Jahre alt war, starb meine Mutter an Krebs. Meine Familie lebte damals in einem kleinen Dorf im Norden Spaniens. Ein halbes Jahr nach ihrem Tod wollte ich Blumen zu ihrem Grab bringen. Auf dem Weg zum Friedhof pflückte ich alles, was ich finden konnte. Aber als ich dort ankam, sah ich, dass die anderen Gräber mit sehr schönen Blumensträußen geschmückt waren. Also stahl ich Rosen, Lilien und anderes von den Gräbern. Viele Jahre später schämte ich mich sehr für das, was ich als kleiner Junge getan hatte, und fuhr mit einem Pickup voller frischer Blumensträuße zum Friedhof. Das hat viele Dorfbewohner zu Tränen gerührt, obwohl sie nun wussten, wer der Dieb von damals war.
teleschau: Ihre Fans schätzen Sie für genau diese Art Gänsehautmomente ...
Kelly: Mein Publikum schenkt mir genauso besondere Gänsehautmomente. Bei all meinen Konzerten gibt es zum Beispiel eine Schweigeminute für den Frieden. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen plötzlich ganz still werden. Um den Begriff Frieden in diesem Rahmen erfahrbar zu machen, habe ich eine Friedensglocke aus Panzer- und Granatteilen, zum Beispiel aus Kiew, gießen lassen. Sie ist das Gegenstück zu all den Kirchenglocken, die in beiden Weltkriegen eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet wurden. Die PeaceBell wiegt über eine Tonne und wird auch bei meiner nächsten Tour wieder dabei sein.
"Rap ist nicht meine Komfortzone"
teleschau: Bei Ihren "Sing meinen Song"-Auftritten verzichten Sie auf diese Symbolik. Was machte Ihnen in diesem Rahmen mehr Spaß: als Gastgeber oder als Teilnehmer mitzumischen?
Kelly: Beides ist auf seine Art spannend. Als Gast hat man viel weniger Verantwortung und kann sich mehr entspannen und zurücklehnen. Als Gastgeber muss man die bunte Truppe mehr zusammenhalten; das kann einen fordern, es ist aber auch sehr schön, die Gruppe ineinander zu verweben.
teleschau: Was sagen Sie Kritikern, die diese Show nur als Marketing-Clou für die Künstler und deren Songs abtun?
Kelly: Das wird der Sendung nicht gerecht. Aber abseits davon: Wenn dem so wäre, was wäre schlimm daran? Wir alle müssen unsere Miete bezahlen. Und es gibt nur wenige, die wirklich von ihrer Musik leben können. Wenn es also eine TV-Plattform gibt, die die Musik als Leidenschaft vieler Zuschauerinnen und Zuschauer in den Mittelpunkt stellt, ist das doch völlig legitim.
teleschau: Gibt es ein Genre oder bestimmte Songs, die Sie scheuen zu interpretieren?
Kelly: Ich höre zwar gerne guten HipHop, bin aber in dem Genre nicht zu Hause, und daher ist Rap schon eine Herausforderung für mich. Ich habe zwar als Jugendlicher auch Rap gehört und mache immer wieder Features mit Rappern wie Moses Pelham, MoTrip oder Rakim. Aber das ist nicht meine Komfortzone.
teleschau: Hat Sie eine Interpretation von einem Kollegen oder einer Kollegin schon mal enttäuscht?
Kelly: Wenn ich bedenke, wie viele Wochen Arbeit und Proben in diesen Auftritten stecken, dann hat mich jede Darbietung begeistert. Auch wenn manches musikalisch mehr herausragt als anderes. Das Schöne ist, dass wir nicht wissen, was uns erwartet. Der Überraschungseffekt ist oft enorm. Wie Geburtstag und Weihnachten zusammen. Da fühle ich mich wie high - so viele Geschenke auf einmal (schmunzelt).