Wie im Krimi: In ARD-Doku packt Ex-Mafiaboss über geheime Strukturen in Deutschland aus
Wer schon einmal einen Mafia-Film gesehen hat, dürfte hat eine gewisse Vorstellung im Kopf haben: von einer kriminellen Gruppierung, die in ihrem Aktionsradius einen enormen Einfluss hat, mit Waffen und Drogen handelt sowie skrupellos mordet, wenn sie es als nötig erachtet. Dass dieses Bild keinesfalls reine Fiktion und auch in Deutschland Realität ist, beweist eine langjährige Ermittlung, die im Mai 2023 in einer Groß-Razzia endete.
Die ARD-Doku "Jagd auf die Mafia" gewährt einen ausführlichen Einblick in den Einsatz, den Oliver Huth, der Leitende Ermittler des Landeskriminalamts NRW, als "größten meiner beruflichen Karriere, mit der größten Tragweite, mit der größten Verantwortung" bezeichnet. Hilfe erhielt er dabei auch von Luigi Bonaventura, einem ehemaligen Kopf der im Mittelpunkt der Ermittlungen stehenden 'Ndrangheta. Seine Ausführungen schildern die grausamen Machenschaften einer der größten und gefährlichsten bekannten Verbrecher-Organisationen - sowie das Leben mittendrin.
'Ndrangheta-Mafia war für Blutbad in Duisburg verantwortlich
Wirklich aufgefallen war die 'Ndrangheta in Deutschland nur ein einziges Mal - das allerdings mit Nachdruck: Bei einem Massaker in Duisburg im Jahr 2007 wurden sechs Italiener mit mehreren Schüssen kaltblütig getötet. Als der Tatverdächtige festgenommen wurde, war der Name 'Ndrangheta plötzlich in aller Munde. Dabei handelt es sich um eine gefährliche Mafia-Bande aus dem italienischen Kalabrien, die auf der ganzen Welt - und vor allem auch in Deutschland - verteilt ist.
Laut Luigi Bonaventura sei das Blutbad in Duisburg Teil einer Familienfehde gewesen und aus Rache entstanden. "Wenn einer von uns Verrat begeht, bringen wir ihn mit unseren eigenen Händen um", verrät der Ex-Boss der kriminellen Organisation. Auch er selbst hat Verrat begangen, als er anfing, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Seine Frau und sein Kind seien daraufhin bedroht worden, ein bewaffneter Mordversuch seines Vaters sei knapp gescheitert, erzählt er.
"Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, wie die Familie mit abtrünnigen Familienmitgliedern umgeht. Wird die Familie geschädigt, muss dafür Sühne getragen werden. Das heißt: Am Ende des Tages schießt man sogar auf seinen eigenen Sohn", resümiert Oliver Huth, der während der Ermittlungen im engen Austausch mit Luigi Bonaventura stand.
Der ehemalige Mafioso ist in die 'Ndrangheta-Familie geboren worden, sein Opa war das Oberhaupt. Schon in jungen Jahren genoss er eine harte Ausbildung, in der er den Umgang mit Waffen lernen und Tiere töten musste. "Ich glaube, wenn sie mir mit 15 Jahren befohlen hätten, jemanden zu töten - ganz gleich wie -, ich hätte es getan", denkt Luigi Bonaventura zurück. Er habe in dieser Situation gelitten, habe selbst beim Denken Angst gehabt, er könne von jemandem belauscht werden.
Einer der Gründe, warum er das Mafia-Leben hinter sich ließ, war die Liebe zu seiner Frau. Er hatte es leid, sie ständig belügen zu müssen: "Als ich mit ihr zusammen war, wusste sie nichts über mich. Ich hatte Raubüberfälle und Morde auf dem Kerbholz, sie wusste von nichts." Nach seinem Ausstieg sollen seine Aussagen nach eigenen Angaben schließlich zu über 500 Verurteilungen geführt haben.
Wie eine simple Autopanne zu über 100 Festnahmen führte
Die Spur, die der 'Ndrangheta letztlich zum Verhängnis werden sollte, war eine simple Autopanne: Zwei deutsche Frauen aus dem Ruhrgebiet waren mit einem SUV in Italien liegengeblieben. Das Auffällige: Sie wurden von einem italienischen Staatsangehörigen quer durch das Land abgeholt, den die dortige Strafverfolgungsbehörde bereits im Visier hatte, da er als Geldeinsammler der 'Ndrangheta galt. Die Polizei vermutete sofort, dass in dem Auto etwas Illegales transportiert würde.
Sie konnten den Pannen-SUV in einer Werkstatt aufspüren und heimlich einen GPS-Sender anbringen. Dadurch fiel auf, dass der Wagen regelmäßig zwischen Italien und Deutschland pendelte - und die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden nahm ihren Lauf. "Ich hatte sofort das Bauchgefühl, da ist was Dickes dahinter. Das wird eine ganz große Geschichte", verrät Kommissar Oliver Huth. Und tatsächlich stellte sich schon bald nicht nur heraus, dass das Fahrzeug zum wöchentlichen illegalen Transport von Drogen quer durch Europa verwendet, sondern das Geld auch noch in deutschen Gaststätten gewaschen wurde - beispielsweise in einer Eisdiele in Siegen.
Die Spuren führten allerdings auch zu einem unscheinbaren Fischteichbesitzer in Breckerfeld, der mit den beiden Frauen aus dem SUV in Kontakt war. "Da reibt man sich ein bisschen die Augen", sagt in der Doku Oliver Huth: "Ein Angler hat da gesagt: 'Mit einem Karpfen kann man doch kein Geld waschen.' Ja, doch, kann man." Der Verdächtige habe völlig unter dem Radar gelebt, wohnte mit Familienangehörigen zusammen, hatte gleichzeitig aber die Fäden bei der Organisation der Kurierfahrten in der Hand, wie die Behörden ermittelten. Er habe kein Italienisch gesprochen: "Da habe ich mich sowieso gewundert, dass überhaupt Stoff in Mailand angekommen ist", lacht Oliver Huth.
Ein entscheidender Erfolg der Polizei war es schließlich, in das verschlüsselte Netzwerk einzudringen, das zur Kommunikation der Bande genutzt wurde. "Da ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen. Klartext. Der Boss vom Angelparadies hat diese Instrumente auch genutzt wie auch natürlich der tatsächliche Besitzer vom Eiscafé in Siegen", erzählt Oliver Huth. Doch wenn es um illegalen Drogenhandel ginge, müssten als Beweis die Drogen gefunden werden ...
Groß-Razzia startete zeitgleich in acht verschiedenen Ländern
Der italienische Zoll stieß dank der Überwachungsmaßnahmen schließlich auf 46 Kilogramm Kokain, transportiert von zwei Frauen in einem umgebauten Audi - zwei Mütter mit Familie. Nach vierjährigen Ermittlungen war endlich ein Beweis da - und die Groß-Razzia, die im Mai 2023 zeitgleich in acht verschiedenen Ländern stattfinden sollte, wurde in Gang gesetzt.
Das sei wie "ein Theaterstück, was man dann da schreibt. Es muss alles aufeinander abgestimmt sein, vom ersten bis zum letzten Akt. Da darf nichts schiefgehen", erklärt Oliver Huth. "Es kann sein, dass du sagst, es sind alle heil nach Hause gekommen, wir haben alle Beweise gefunden, die wir wollten - oder es geht im Desaster unter", schildert der Leitende Ermittler die Gefahr.
Als es losging, kamen dann 800 Einsatzkräfte gleichzeitig in acht verschiedenen Ländern aus ihren Verstecken und starteten den Zugriff - mit vollem Erfolg! Unter den zahlreichen Festnahmen waren auch der Boss des Angelparadieses, der Besitzer der Eisdiele und die zwei Frauen, welche die ursprüngliche Spur mit ihrer Autopanne unfreiwillig gelegt hatten. In Italien erklärten sich viele der insgesamt 106 Festgenommenen für schuldig. Trotz des gelungenen Rundumschlags gegen die 'Ndrangheta-Mafia weiß Oliver Huth aber: "Es wäre naiv, zu glauben, dass das einen unmittelbaren Impact auf den internationalen Rauschgift-Handel hat."
"Jagd auf die Mafia - Die 'Ndrangheta in Deutschland" läuft am Montag, 3. Februar, 22.50 Uhr im Ersten und ist vorab als Dreiteiler in der Mediathek zu sehen.