Nele Neuhaus: "Man braucht Interesse am Bösen"
Bestsellerautorin Nele Neuhaus hat mit "Im Wald" einen neuen Krimi rund um ihre Ermittler Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein vorgelegt. Wie es mit dem Duo weitergeht, verrät sie im Interview.
"Im Wald" (Ullstein, 560 Seiten, 22 Euro) ist bereits der achte Teil der Reihe rund um die bekannten Ermittler Pia Sander, ehemalige Kirchhoff, und Oliver von Bodenstein. In einem brennenden Wohnwagen wird eine Leiche entdeckt - und es wird nicht die einzige bleiben. Der Fall führt in die Vergangenheit. Ob es der letzte gemeinsame Einsatz für Pia und Oliver ist, verrät Bestsellerautorin Nele Neuhaus im Interview mit spot on news.
"Im Wald" heißt Ihr neues Buch. Die Geschichte führt 40 Jahre in die Vergangenheit zurück. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Nele Neuhaus: Es gab in meinem Heimatort vor vielen Jahren den Fall eines neunjährigen Mädchens, das auf dem Weg zu seinem Elternhaus spurlos verschwunden und nie mehr aufgetaucht ist. Eine solche Geschichte bringt die Fantasie einer Krimiautorin natürlich schwer in Wallung. Ich erinnere mich an die vielen Spekulationen und dass ich selbst immer damit gerechnet habe, dass jemand die Leiche des Mädchens findet. Die Grundidee meines Buches entsprang daraus: Was passiert in so einem Fall mit den Angehörigen? Wie gehen sie mit dieser Ungewissheit um?
Zudem bekommt Oliver von Bodenstein viel Platz in Ihrem neuen Werk...
Neuhaus: Ich wollte Oliver von Bodenstein diesmal etwas mehr in den Mittelpunkt stellen. Er bildet sonst eher den Hintergrund und lässt Pia den Vortritt. In den letzten sieben Bänden hat sich aber eine spannende Geschichte um ihn herum aufgebaut - jetzt war der passende Zeitpunkt, um diese zu erzählen.
Für Oliver von Bodenstein wird der Fall nicht nur sehr persönlich - er trifft auf alte Schulfreunde und deren Familien - er will auch raus aus dem Job. Wie geht es mit Ihrem Ermittler-Duo weiter?
Neuhaus: Insgesamt wird es wohl keine so große Veränderung geben, wie es sich zunächst andeutet. Pia könnte weiter die Leiterin des K11 bleiben und Oliver bei der Polizei einen anderen Job finden, der womöglich etwas spezieller ist. In welche Richtung es geht, weiß ich allerdings noch nicht genau. Das Ermittler-Duo bleibt also, nur mit etwas geänderten Vorzeichen.
Es geht in "Im Wald" um den Ort Ruppertshain, der auch wirklich existiert. Was hat die Bevölkerung dazu gesagt, dass sie erst mal komplett unter Mordverdacht gerät?
Neuhaus: Ich kenne Ruppertshain gut: Mein Ex-Mann stammt aus diesem Ort und ich bin über 20 Jahre sehr häufig dort gewesen. Das Gerücht über mein Buch hat sich natürlich schnell verbreitet. Die meisten Leute freuen sich sicher darauf und sind hoffentlich in erster Linie stolz, dass ihr Wohnort Mittelpunkt eines Krimis ist. Altenhain, der Schauplatz von "Schneewittchen muss sterben", ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Das Buch wurde in 32 Sprachen übersetzt, Altenhain hat es damit zu weltweiter Bekanntheit gebracht. Da überwiegt der Stolz. Meine Leser wissen zudem auch, dass ich meine Figuren lieber erfinde, als real existierende Personen zu beschreiben.
Allerdings tauchen Personen, die Sie nicht so gerne mögen, schon mal in Ihren Büchern als schäbige Charaktere auf, wie Sie gerade bei "Stern Crime" verraten haben. Gibt es so jemanden auch in dem neuen Buch?
Neuhaus: Stimmt! Das war tatsächlich im letzten Buch so. Hin und wieder, wenn mich jemand wirklich nervt, erlaube ich mir eine kleine persönliche "Rache" und gebe einer Figur mit einem schäbigen Charakter einen Namen, der dem der Nervensäge sehr ähnlich ist (lacht). In meinem neuen Roman gibt es aber keinen solchen Fall.
Braucht man als erfolgreiche Krimiautorin ein Faible für menschliche Abgründe?
Neuhaus: Eine gewisse Faszination dafür ist unbedingt nötig, denn man muss sich ja doch eine ganze Weile mit düsteren, menschlichen Abgründen beschäftigen. Man muss sich in Menschen einfühlen und hineindenken, die Schlimmes getan haben. Antagonisten sind immer die spannendsten Charaktere in einem Roman, weil sie die Handlung vorantreiben und in meinem Fall die Kommissare zum Handeln zwingen. Man braucht also ein gewisses Interesse am Bösen - aber auch ein dickes Fell. Man darf das, worüber man schreibt und recherchiert, nicht zu nah an sich heranlassen, damit man diesen doch manchmal ziemlich grausamen Job unbeschadet übersteht.
Sie holen sich für Ihre Arbeit auch Tipps bei echten Polizisten.
Neuhaus: Wenn ich mir von Polizisten und Rechtsmedizinern Ratschläge geben lasse, geht es um das Handwerkliche. Ich habe den Ehrgeiz, in meinen Büchern deren Arbeit so authentisch wie möglich darzustellen und dafür sind sie mir sehr dankbar. Als Anerkennung für meine Sorgfalt hat mich der Polizeipräsident Westhessens zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt. Darauf bin ich sehr stolz.
Hatten Sie privat schon mal mit Verbrechen oder der Polizei zu tun?
Neuhaus: Tatsächlich gab es in meinem weiteren Bekanntenkreis bereits drei Mordfälle. Einmal wurde ich auch von der Kripo befragt. Es ging um den Vater einer Bekannten, der gleichzeitig Kunde in der Firma meines Ex-Mannes war. Da ich der Polizei aber nicht weiterhelfen konnte, war ich schnell wieder aus der Ermittlung raus. In allen drei Fällen konnten die Täter aber überführt, verhaftet und verurteilt werden. Es war schon seltsam, das in der Realität mitzuerleben.
Wie würden Sie Ihren Weg als Autorin beschreiben?
Neuhaus: Von außen betrachtet scheint es wie im Märchen, dass sich mein Kindheitstraum erfüllt hat. In Wirklichkeit bedurfte es einer Menge Disziplin, Durchhaltevermögen und sehr viel Selbstkritik, um als Autorin Erfolg zu haben. Viele Leute denken, wenn sie schreiben können, könnten sie auch ein Buch verfassen. Sie übersehen dabei, dass man eine Geschichte erzählen und Spannungsbögen halten muss. Neben Fantasie und Talent ist gutes handwerkliches Können Grundvoraussetzung, denn wenn ein Buch sprachlich nicht gut ist, dann wird es niemals ein Erfolg. Das musste ich auch lernen, vielleicht hat es deswegen so lange gedauert, bis ich mein erstes Buch veröffentlicht habe. Damals war ich immerhin bereits Ende 30. Ich war sehr vorsichtig und selbstkritisch. Mein Weg war voller Serpentinen, aber irgendwie ging es immer bergauf - sogar bis an die Spitze der "Spiegel"-Bestsellerliste.
Ihre Bücher erscheinen in über 20 Ländern. Was für Feedback erhalten Sie aus dem Ausland?
Neuhaus: Ich war in diesem Jahr bereits in Helsinki, Amsterdam und Warschau und habe viele Leser getroffen. Oft interessieren die Leute dort die gleichen Dinge wie hierzulande, manchmal kommen aber ganz spezielle Fragen. Viele Leser im Ausland verwundert zum Beispiel, dass in Deutschland Mord nicht verjährt. Es werden mir aber auch viele gesellschaftskritische Fragen gestellt, weil meine Bücher immer auch ein bisschen Gesellschaftsroman sind, und das widerspiegeln, was im Moment des Schreibens in Deutschland aktuell ist.