Eckart von Hirschhausen: "Alkohol macht vom ersten Schluck an krank"
Arzt, Journalist und Moderator Dr. Eckart von Hirschhausen (57) deckt in seinem neuen Film "Hirschhausen und die Macht des Alkohols" (27. Januar, 20:15 Uhr, das Erste) auf, was die Volksdroge Nummer eins mit unserem Körper, unseren Beziehungen und unserer Gesellschaft macht. Spannende Details zu der TV-Reportage, die ihn unter anderem auf das Münchner Oktoberfest, in St. Paulis Kneipen oder eine Suchtklinik in Mannheim führte, verrät er vorab im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
In Ihrem neuen Film "Hirschhausen und die Macht des Alkohols" zeigen Sie, dass ein "normaler" Alkoholkonsum bereits krank macht?
Eckart von Hirschhausen: Lange glaubte man, ein bisschen Rotwein schützt vor Herzinfarkt. Ich habe das auch gerne geglaubt - ist aber leider nicht so. Alkohol macht vom ersten Schluck an krank. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat kürzlich neue Empfehlungen dazu herausgebracht. Und deshalb mache ich mich auf den Weg, weil ich nicht den Eindruck habe, dass sich das schon überall herumgesprochen hat.
Was sind denn die Risiken?
von Hirschhausen: "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben" wurde ja zu einem geflügelten Wort. Aber Alkohol ist auch ein Nervengift. Und was mich schon überrascht hat an den Studien, ist die Klarheit, mit der das Krebsrisiko benannt wird, das lange in der Öffentlichkeit überhaupt keine Rolle gespielt hat. Eine Flasche Wein ist für das Brustkrebsrisiko einer Frau so schädlich wie zehn Zigaretten. Ich finde, dass sollte so klar aufs Etikett wie bei den Zigaretten.
Ebenfalls unterschätzt wird das Risiko in der Schwangerschaft, das werdende Kind für immer zu schädigen. Ich hatte als Arzt in der Kinderheilkunde mit dem Fetalen Alkoholsyndrom zu tun. Ich kenne daher das persönliche Leid wie auch den volkswirtschaftlichen Schaden von jährlich geschätzt 17 Milliarden Euro.
Sie haben unter anderem auf dem Münchner Oktoberfest und in Hamburg - St. Pauli gedreht. Was war für Sie dabei am eindrücklichsten?
von Hirschhausen: So viel kann ich verraten: Es ist nicht alles schön, was man da sieht. Da bekommt das Wort "Bierleiche" eine konkrete Bedeutung. Was alle meine Reportagen ausmacht: Ich verbinde den Blick als Arzt, als Wissenschaftsjournalist mit dem Blick auf uns als Gesellschaft. Ich gehe ohne festes Drehbuch los, und schaue selbst gerne mit den Zuschauerinnen und Zuschauern hinter die Kulissen.
Auf der Wiesn waren sicher schon viele, aber wir starten direkt in einem eher unbekannten Teil vom Oktoberfest - bei der notärztlichen Versorgung. Ich fragte den langjährigen diensthabenden "Wiesen-Doc", ob ihn noch etwas schocken kann. Und er muss nicht lange überlegen und sagt schlicht: "Nein."
Aber gibt es nicht ein Recht auf Rausch? Inwiefern spielen kulturelle Traditionen und soziale Normen eine Rolle?
von Hirschhausen: Alkohol ist die einzige Droge, bei der man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht konsumieren will. Es gibt ein Recht auf Rausch. Und noch ein anderes Recht - das auf körperliche Unversehrtheit. So wie Rauchen andere Menschen passiv schädigt, schädigt auch Alkohol viele andere mit. Das geht vor der Geburt los, wenn Babys im Mutterbauch zum Passiv-Trinken gezwungen sind und dadurch lebenslang geschädigt werden. In unserem Film sprechen wir auch mit einem Mann, dem ein besoffener Autofahrer das Bein zertrümmert hat.
So wie uns der Nichtraucherschutz gelungen ist, muss es jetzt endlich sinnvolle gesetzliche Rahmenbedingungen geben für den Schutz vor Alkohol.
Gibt es neue therapeutische Ansätze, um die Alkoholabhängigkeit zu überwinden?
von Hirschhausen: Dem Suchtgedächtnis im Hirn ist es völlig egal, ob deine Weinflasche zwei Euro kostet oder 200 Euro. Es gibt aber neue Medikamente. Und sehr spannende Studien mit Psychedelika, wie niedrig dosiertes LSD.
Das klingt erstmal verrückt, eine Sucht mit einer anderen Droge zu behandeln. Aber unter therapeutischer Anleitung kann offenbar die halluzinogene Erfahrung, sich selbst einmal wie von außen betrachten zu können, helfen, auf den Rausch im Alltag verzichten zu können. Eine therapeutische Revolution.
Wie bewerten Sie die Rolle der Alkoholindustrie und ihrer Marketingstrategien im Zusammenhang mit Konsummustern bei jungen Menschen?
von Hirschhausen: Ein Beispiel aus dem Film: Wer erinnert sich noch an die Diskussion, als vor gut 20 Jahren plötzlich diese Alkopops in Mode kamen. Sie waren mit so viel Zucker und tropischen Fruchtaromen verpanscht, dass man gar nicht schmeckte, dass 5 bis 8 Prozent Alkohol drin war, also mehr als im Bier. Die Zielgruppe waren Mädchen und junge Frauen. Als die Probleme damit so offensichtlich wurden, dass die Politik handeln musste, wurde eine Sondersteuer eingeführt, die den Verkauf unattraktiver machen sollte. Die Steuer gilt aber nur für Getränke bis 10 Prozent. Was passierte? Jetzt haben die Dinger alle statt 5 Prozent wie damals heute 10 Prozent.
Sowas kann man sich doch nicht ausdenken. Aber es ist die Wahrheit. Mehr Schaden für weniger Geld. Die Alkohollobby darf mit 200-mal so viel Geld Werbung machen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Da ist es nicht so überraschend, dass wir alle Bilder in unserem kollektiven Gedächtnis haben, wie angeblich Rum und Bier uns Zugang verschaffen zu großen Segelschiffen und erotisierenden Partys auf tropischen Inseln.
Wie könnten die durch Alkoholkonsum verursachten langfristigen sozialen und gesundheitlichen Kosten durch politische Maßnahmen reduziert werden?
von Hirschhausen: Mit Steuern gegensteuern, Preise rauf, limitierte Verkaufsstellen, Alter kontrollieren, Aufklärung statt Werbung. Also genau das, was wissenschaftlich erwiesen am besten wirkt und was andere Länder längst erfolgreich tun.
Wie hat dieser Film Ihren eigenen Umgang mit Alkohol verändert?
von Hirschhausen: Die vielen Schicksale in diesem Film haben mich wirklich bewegt, von den tristen Figuren in den Kneipen von St. Pauli, über die Angehörigen, die ihr jahrelanges stilles Leiden durchbrechen, bis zur Suchtklinik in Mannheim, die mit neuen Methoden wirksamere Hilfsangebote macht als früher.
Ich trinke seit diesem Film viel weniger, mache unter der Woche Pause und im Januar den ganzen Monat. Und wer das für sich mal ausprobieren möchte, hat dafür ja elf weitere Monate im Jahr zur Auswahl, muss ja nicht gleich zu Karneval sein oder für die Menschen in Bayern der Oktober.